Das glückliche Gehirn
Eine Studie zeigt, dass Mitarbeiter in einem Acht-Stunden-Tag durchschnittlich nur knapp drei Stunden wirklich produktiv gewesen sind. Was können Unternehmen dagegen tun? Drei Tipps
1) Weg von der Anwesenheitspflicht, hin zur Ergebnisorientierung
In den meisten modernen Büros herrscht eine Anwesenheitskultur, in der Überstunden fälschlich mit erhöhter Produktivität gleichgesetzt werden. Aber so funktioniert unser Gehirn nicht. Es ist dafür gemacht, sich für kurze Zeiträume vollkommen zu konzentrieren und produktiv zu arbeiten. Dann müssen wir eine Pause machen, um unsere Vorräte an Botenstoffen wieder aufzufüllen.
Wer regelmäßig 60 bis 80 Stunden pro Woche arbeitet, beeindruckt vielleicht seine Vorgesetzten, aber ein solcher Arbeitsaufwand erhöht die Produktivität kaum oder wirkt sich sogar negativ darauf aus. Eine Studie zeigte, dass Mitarbeiter in einem Acht-Stunden-Tag durchschnittlich nur knapp drei Stunden wirklich produktiv waren. Was machten sie mit der restlichen Zeit? Sie verbrachten sie mit Kaffeetrinken, in den sozialen Medien oder der Suche nach einem neuen Job.
Anders als in der Anwesenheitskultur geht es in der ergebnisorientierten Kultur nicht darum, wie lange man sich am Arbeitsplatz aufhält. Wichtiger ist, was man tatsächlich leistet. Eine solche Kultur belohnt jene, die effizient arbeiten, und erlaubt es Unternehmen, die tägliche Arbeitszeit oder die Zahl der wöchentlichen Arbeitstage zu verringern. Die zusätzliche Freizeit gibt den Menschen die Chance, ihren Neigungen nachzugehen, und der Glücksfaktor erhöht die Produktivität.
Die japanische Niederlassung von Microsoft startete im Jahr 2019 ein Pilotprojekt mit einer viertägigen Arbeitswoche. Der Umsatz stieg um fast 40 Prozent. In San Diego wählte Stephan Aarstol, der Geschäftsführer von Tower Paddle Boards, die radikale Lösung, die Arbeitstage seiner Beschäftigten auf fünf Stunden zu verkürzen und ihren Stundenlohn fast zu verdoppeln. Innerhalb von drei Jahren stieg der Umsatz des Unternehmens um 1850 Prozent. Aarstol war überglücklich über den finanziellen Erfolg seiner Firma, aber seine Strategie wirkte sich auch nachhaltig auf die Motivation der Mitarbeitenden aus und zeigt, worum es bei der ergebnisorientierten Kultur geht. Wie Aarstol im Jahr 2016 im Gespräch mit Fast Company erklärte: „Ich wollte ihnen ihr Leben zurückgeben.”
2) Neurobalance
Früher hielten wir die Verbindungen zwischen Gehirn und Körper für Einbahnstraßen, aber mittlerweile wissen wir, dass sie in beide Richtungen verlaufen. Was gut für den Körper ist, ist auch gut für das Gehirn. Wenn wir geistige Höchstleistungen erbringen möchten, müssen wir unseren Körper einsetzen.
Wenn wir regelmäßig Sport treiben und genug schlafen, erreichen wir eine optimale Neurobalance, was es uns erleichtert, in den Zustand des Flow zu gelangen und unser gesamtes Potenzial abzurufen.
Sport regt die Ausschüttung des Botenstoffs Dopamin an, der uns hilft, besser zu denken und zu lernen. Viele Studien zeigen, dass regelmäßige Bewegung ein wirksames Mittel gegen zahlreiche psychische Probleme wie Demenz und Depression ist.
Genauso wertvoll ist der Schlaf. Mittlerweile haben zahlreiche Studien gezeigt, wie wichtig er für Gedächtnis und Lernen ist. Zudem setzt das Gehirn den Schlaf als eine Art Waschmaschine ein, um toxische freie Radikale und Stresshormone wie Cortisol zu beseitigen. Schlaf ist lebenswichtig für uns. In einer Studie an der Universität Harvard stellte sich heraus, dass die Lebenserwartung von Menschen, die weniger als fünf Stunden in der Nacht schlafen, um etwa 15 Prozent sinkt.
Der Beitrag von Sport und Schlaf zur Erhaltung unserer Neurobalance liegt auf der Hand, und dennoch setzt kaum ein Unternehmen diese Erkenntnisse um. In allzu vielen Büros gilt die Nutzung des Fitnessraums als Zeitverschwendung, und lange Arbeitstage mit hoher Stressbelastung machen es vielen von uns fast unmöglich, in der Nacht richtig auszuruhen.
Zum Glück bemühen sich immer mehr Unternehmen, einen gehirngerechten Arbeitsplatz zu schaffen, und ernten den Lohn in Form von höherer Produktivität, Diversität und Talentbindung. Patagonia, ein Hersteller von Outdoor-Bekleidung in den USA, zum Beispiel ermutigt seine Angestellten aktiv, Sport zu betreiben und in ihrer Arbeitszeit Spaß zu haben. Seit dieser kulturellen Neuausrichtung hat das Unternehmen seine Größe verdoppelt und seine Gewinne verdreifacht.
3) Freude, Furcht und Fokus
Wie können wir Spitzenleistung erreichen? Der produktive und beglückende Zustand der Aufmerksamkeit, den wir alle anstreben, wird normalerweise als „Flow“ bezeichnet. Es ist eine verbreitete Vorstellung, dieser Zustand trete zufällig ein, sei unvorhersehbar und entziehe sich unserer Kontrolle. Das ist ein Irrtum. Tatsächlich können wir diesen Zustand extremer Produktivität systematisch herbeiführen.
Der Flow ist das Produkt des gemeinsamen Wirkens von drei Neurochemikalien: Dopamin, Norepinephrin und Acetylcholin. Zum Glück müssen wir uns die Namen dieser Botenstoffe nicht merken. Wir müssen uns nur drei einfache Worte einprägen: Freude, Furcht und Fokus (Fun, Fear, and Focus).
Freude am Arbeiten ist absolut notwendig, wenn wir Höchstleistungen erbringen wollen. Wenn wir Freude haben, schüttet unser Gehirn in Erwartung bevorstehender Belohnungen Dopamin aus.
Natürlich wird unsere Aufmerksamkeit sehr viel geringer sein, wenn wir das Gefühl haben, dass wenig auf dem Spiel steht. Hier kommt die Furcht ins Spiel. Wenn wir uns gefordert fühlen, wenn uns eine Aufgabe ein wenig aus unserer Komfortzone holt, schüttet unser Gehirn die nützliche Furcht-Chemikalie Norepinephrin aus. Deshalb haben auch viele Menschen die besten Ideen kurz vor einer knappen Deadline.
Und was ist mit der Konzentration? Wir konzentrieren uns, wenn unser Gehirn Acetylcholin ausschüttet. Spaß löst die Ausschüttung von Dopamin aus, und Furcht setzt Norepinephrin frei, aber das wunderbare an Acetylcholin ist, dass es ein natürliches Nebenprodukt der beiden anderen Botenstoffe ist. Mit anderen Worten: Wenn wir Spaß haben und uns ein wenig fürchten, kommt die Konzentration von allein. Und wenn wir alle drei haben, befinden wir uns im Flow.
Kleine Schritte zur sofortigen Umsetzung
Hier sind einige Dinge, die sie sofort umsetzen können, auch wenn Ihr Arbeitsplatz ansonsten überhaupt nicht gehirngerecht ist.
1. Kürzere Besprechungen. Kaum jemand mag Meetings. Sie sind in mehrerlei Hinsicht typische Produkte einer dysfunktionalen Anwesenheitskultur und verschlingen Zeit, die für verschiedenste Aktivitäten produktiv genutzt werden könnte, darunter Sport und Erholung. Begrenzen Sie die Standarddauer von Meetings auf 15-45 Minuten und beschränken Sie die Gruppe der Teilnehmer auf jene Personen, deren Anwesenheit wirklich erforderlich ist.
2. Habit Stacking. Wenn wir Sport treiben wollen, in der Anwesenheitskultur unseres Unternehmens jedoch nur schwer Zeit dafür finden, können wir die Methode des Habit stacking anwenden und das Training mit etwas verknüpfen, das wir bereits in unserem Arbeitsalltag tun: mit der Beantwortung von Anrufen, dem Checken der Voicemail – und wir können sogar die regelmäßigen Besprechungen in Meetings on the move umwandeln. Das ist eine ausgezeichnete Methode, um auf die berühmten 10.000 Schritte zu kommen.
3. Das „Meeting mit sich selbst“. Unterbrechungen und Ablenkungen sind die Erzfeinde des Flow. Die meisten von uns kämen nicht auf die Idee, in eine Besprechung zu platzen, aber viele Leute unterbrechen regelmäßig Menschen, die gerade allein an etwas arbeiten. Die Lösung dafür bezeichne ich als „Meeting mit sich selbst“. Hier handelt es sich um ein Meeting, das man nur mit sich selbst vereinbart. In diesem Meeting sollte man sich als unerreichbar für alle anderen Personen betrachten, das Telefon stummschalten und die Bürotür, sofern vorhanden, schließen. So kann man sich wertvolle Flow-Zeit verschaffen.
Gastartikel für den Human Resources Manager 1/2022